Geheimnisse in der Virgilkapelle

Während der Bauarbeiten der U-Bahn Station Stephansplatz im Jahre 1978 stießen die Tunnelbauer auf einen verschütteten sakralen Ort, der lange Zeit als verschollen galt. Der unterirdische Raum wurde von den Archäologen als Kirchenraum aus dem 12. Jahrhundert datiert.

Laut Artikel der „Illustrierten Kronen Zeitung“ am 7. März 1939, also vor rund 80 Jahren (!), wurden bereits am Stephansplatz Bodenuntersuchungen vorgenommen, da schon damals bereits in Wien eine U-Bahn gebaut werde sollten. Die Arbeiter schnitten dabei ebenso überraschenderweise den bis dahin unbekannten Hohlraum der Kapelle an, die bis an die Decke mit Schutt zugeschüttet war. Der einbrechende Zweite Weltkrieg stoppte die Vorbereitungen des Verkehrsprojektes was das Ende der archäologischen Untersuchungen bedeutete. Rund 40 Jahre später kamen wieder U-Bahn-Arbeiter mit Archäologen im Gepäck an die Stelle. Mit moderneren Equipment und neueren Methoden versuchte man das Rätsel der Krypta zu lösen.

Man fand heraus, dass im Mittelalter über der „capella subterranea“ die Maria-Magdalenen-Kirche existierte, die im 18. Jahrhundert abgebrannt ist. Der ausgegrabene 12 Meter hohe Gruftraum, offensichtlich seinerzeit in zwei Etagen geteilt, war lange eine reich ausgestattete Begräbnisstätte samt Karner (Gebeinhaus) gewesen. 

Wer war Virgil?

Der Name Virgil könnte sich vom irischen Königssohn Fergil (700-784) ableiten; ein Missionar der bei Geburtshilfen zu Rate stand und als Patron der Kinder galt. Mystische Legenden rund um die Bedeutung des Gruftraums gibt es viele. Die Gruft könnte, so anderer Überlegungen, auch als vorgesehener Reliquienort des im Jahre 1012 ermordeten Wanderpredigers Kolomans errichtet worden sein. Nach astronomischen Gesichtspunkten sind die Achsen nach dem Sonnenstand auf den Namenstag des heiligen Kolomans (13. Oktober) ausgerichtet. Koloman wurde von vielen verehrt; als Schutzheiliger gegen diverse Krankheiten, Pest und Unwetter.

Was bedeuteten die roten Radkreuze?

Bei den vielen Untersuchungen in der Kapelle rätselten die Archäologen und Historiker auch was es mit den großen roten geschweiften Radkreuzen an den Seitenwänden auf sich hat. Sie erinnern frappant an das Symbol-Kreuz des geheimen Templer-Ordens. Ein Geheimnis, welches nicht so schnell gelöst werden konnte.

Als wir uns auch den freigelegten Kultraum ansahen, welcher inzwischen zu einem Museumsraum ausgebaut ist, waren wir gespannt, etwas darüber herauszufinden. Dieser Raum ist heute öffentlich zugänglich und wir können einen Besuch auch sehr empfehlen. Im aktuellen Museumsführer (von Michaela Kronberger, aus 2017) werden die augenscheinlichen Symbole nur vage definiert, da offensichtlich unter der Wissensacht kein Konsens herrscht. Baugeschichtlich lässt sich jedenfalls sicherstellen, dass diese Radkreuze offensichtlich im 13. Jahrhundert mit der Fertigstellung des unterirdischen Raumes zur Zeit des letzten Babenbergerherzogs Friedrich II. angebracht worden waren. Es ist also noch Raum für weitere Deutungen offen.

Stehen die entdeckten Radkreuze möglicherweise als  Symbol der vier Evangelisten, wie einige Forscher auch meinen? Wir kontaktierten die Fremdenführerin Gabriele Lukacs, eine versierte Kennerin der Geheimsymbolik und des okkulten Wiens. Sie denkt, dass dieser Ort ein  Versammlungsraum des legendären mittelalterlichen Ordens der Templer ist, der Anfang des 14. Jahrhunderts von der Kirche brutal aufgelöst wurde.

Wir erfahren von Frau Lukacs so einiges Interessantes über die Tempelritter; auch dass in so manchen Kellern der Innenstadt ebenso weitere Zufluchtsorte dieser Okkultisten existieren. Wir wollen in einem unserer nächsten Blog-Beiträge diese aufsuchen und der Sache weiter auf den Grund gehen.

Begleiten Sie uns mit unseren Forschungsarbeiten und verfolgen Sie unserer Aktivitäten. Wir halten Sie am Laufenden.

Wenn Sie Zeit haben, dann besuchen Sie auch die Virgilkapelle und versäumen Sie dort nicht, sich das  geheimnisvolle aufgemalte rote Gesicht (in der Nische drei) anzusehen, bevor es vielleicht irgendwann vollkommen in Vergessenheit gerät? Wer mag die halb aufgelöste Gestalt sein, die uns da entgegenblickt?

Geschichte geht leider oft allzu rasch verloren; leider wird auch vieles unabsichtlich oder absichtlich verschüttet und zerstört oder erliegt nach und nach dem Verlauf der Dinge. Die Stadt Wien bemüht sich historisch Wertvolles zu konservieren und zu erhalten, kann aber nicht immer überall sein.

Wir versuchen - im Rahmen unserer Möglichkeiten - auch Relikte der Vergangenheit zu dokumentieren; unterstützen so das Erbe unserer Vorfahren zu bewahren und zu vermitteln.

Text: Marcello La Speranza

Fotos: Lukas Arnold

Die "geheimen" Linien am Boden des Stephansplatz

 

Wenn man über den Stephansplatz schlendert, fallen aufmerksamen Besuchern schwarze sowie weiße Linien auf. Was haben diese Linien auf sich? Aus der Vogelperspektive wird ersichtlich, dass die schwarzen Umrisse die einstige Maria-Magdalenen-Kirche symbolisieren sowie die Virgilkapelle (weißer Umriss)

Die kleinen schwarzen Linien zeigen kreuze, welche den einstigen Pfarrfriedhof symbolisieren sollen, welcher sich hier vor einigen Jahrhunderten befand.